Fasching mal ganz anders - Gran Canaria in Karnevalslaune
Von Haus aus bin ich ja eigentlich keine so begeisterte Fasnachterin - in jüngeren Jahren bin ich natürlich schon gerne auf die eine oder andere Faschingsparty gegangen (Hauptsache feiern, der Anlass war zweitrangig) und in unserer Zeit in der Pfalz habe ich sogar mal eine achtstündige (!!) Prunksitzung eines örtlichen Karnevalvereins über mich ergehen lassen (und mich teilweise sogar richtig amüsiert). Veranstaltungen wie der Rottweiler Narrensprung oder der Basler Morgestraich mit ihrem urigen Brauchtum haben mir auch schon immer gefallen. Aber ein wirklich wichtiger Termin in meinem Kalender waren die Faschingstage für mich bisher nie gewesen.
Dieses Jahr nun habe ich zum ersten Mal richtig bewusst den hiesigen carnaval miterlebt und muss sagen, dass ich den schon sehr schön und faszinierend fand. Er ist in vieler Hinsicht ganz anders als der deutsche Fasching und erinnert teilweise eher an die Bilder, die man vom Karneval in Rio kennt als an die Gröl-und-Schunkel-Stimmung, die in Deutschland doch meist vorherrscht.

Die Darbietungen der schon erwähnten murgas habe ich mir zwar kurz mal angesehen, kann sie als Ausländerin aber leider nicht so wirklich würdigen, muss ich gestehen - ein vergleichsweise neu Zugewanderter Ausländer in Deutschland hätte vermutlich an Büttenreden im Meenzer oder Kölschen Dialekt ungefähr ähnlich viel Freude wie ich an diesen Bänkelgesängen im breitesten canario. Keine Chance! Sowohl sprachlich als auch inhaltlich bin ich da eindeutig überfordert - schon beim Basler Morgestraich habe ich etliche Pointen nicht verstanden, und da fehlten mir „nur“ die regionalen Hintergrundinformationen. Das macht aber nichts - skurril und sehenswert war das Ganze trotzdem auf jeden Fall einmal.

Die Damenwelt kommt aber auch nicht zu kurz und freut sich besonders auf die Wahl der „Drag Queen“, speziell auf Gran Canaria der absolute Renner im Karneval. Schon letztes Jahr, als ich noch ganz frisch auf der Insel war (und das Karnevalsgeschehen nur mit halbem Auge verfolgt habe, da mich zu viele andere Dinge beschäftigt hielten), fiel mir auf, dass beinahe die komplette Männlichkeit der Insel während der „tollen Tage“ in Frauenkleidern unterwegs ist. Viele davon geben sich dabei richtig Mühe und treiben einen Aufwand mit Ganzkörperrasur, Make-up, Frisuren und Kostümen, dass man nur staunen kann. Das hat mit der derben Variante, die wir aus den deutschen Faschings-Männerballett-Vorstellungen kennen, nichts mehr zu tun. Und dabei handelt es sich keineswegs um die Art Mann, die ohnehin im Alltag eher „metrosexuell“ daherkommt oder sich vielleicht (optisch) sogar hart an der Grenze zur Homosexualität bewegt. Es sind im Gegenteil auffallend oft richtig vierschrötige, betont maskuline Typen, die während des carnavals hingebungsvoll ihre weibliche Seite pflegen und präsentieren. Ebenfalls verblüfft hat mich die Beobachtung, dass selbst pubertierende Jungs sich hier begeistert als Mädchen verkleiden - in einem Alter, wo sie meiner Erfahrung nach eigentlich nichts peinlicher und schrecklicher finden, als in irgendeiner Weise als unmännlich rüberzukommen und „hey, biste schwul oder was?“ für sie eine der schlimmsten Beleidigungen überhaupt darstellt. Einer Statistik zufolge, die ich mittlerweile gefunden habe, verkleiden sich tatsächlich zwischen 70 und 80 % der kanarischen Männer während des Karnevals als Frauen - das Ganze beruht also keineswegs auf einer selektiven Wahrnehmung meinerseits, sondern ist vorherrschende Tradition.
Die Wahl zur Drag Queen nun ist sozusagen der Höhepunkt dieser einheimischen Vorliebe zum Geschlechterrollenwechsel, ein mega-schrilles, überaus beliebtes Spektakel. Innerhalb von vier Stunden waren die Karten für die Gala letztes Jahr ausverkauft; tatsächlich hatten manche Fans bereits 35 (!) Stunden vor dem offiziellen Verkaufsstart vor dem entsprechenden Ticketschalter zu kampieren begonnen, um sich die begehrten Karten zu sichern. Eines derartigen Runs kann sich nicht einmal die Gala zur Wahl der offiziellen Karnevalskönigin rühmen. Gran Canaria gilt als europäische Hauptstadt der Drag-Queen-Bewegung; einen besonderen Stellenwert hat die Show natürlich in Maspalomas, der Hochburg der Homosexuellen. Aber auch in allen anderen Gemeinden kann sie von der Beliebtheit her heute mit der Wahl zur Karnevalskönigin problemlos mithalten oder schlägt sie sogar. Die Kostüme der Drag Queens sind anders, aber nicht weniger aufwändig als die der Karnevalsköniginnen gestaltet. Hier geht es in erster Linie darum, Aufsehen zu erregen, Wildheit, Freiheit und Individualität zu zelebrieren. Die Absatzhöhe der Schuhe der Teilnehmerinnen ist absolut unglaublich - wieso sich die Kandidaten nicht reihenweise die alle Knochen brechen (zumal sie ja auch noch auf der Bühne tanzen und akrobatische Verrenkungen aufführen müssen!) ist mir vollkommen schleierhaft. Gewonnen hat dieses Jahr Drag Kuki, aber ich war froh, nicht in der Jury zu sitzen, ich hätte mich nicht entscheiden können/wollen! Sensationell waren die Kostüme allesamt.

Nun ja, wie auch immer - die cabalgata, der große Umzug in Las Palmas, bei dem auch die reina de carnaval und die Drag Queen mit dabei waren, hat mich jedenfalls sehr begeistert. Zu heißen Salsarhythmen wird danach die ganze Nacht hindurch auf den Straßen der Stadt getanzt und gefeiert, was das Zeug hält. Dazu gelernt habe ich dieses Jahr auch wieder etwas: Nächstes Jahr nehmen wir uns einfach ein Hotelzimmer in der Innenstadt, haben wir beschlossen, und halten bis zum Morgengrauen durch, statt wie diesmal zu gehen, wenn die Party erst richtig anfängt. Diesmal war ich ja schon schlau genug, das Auto außerhalb der Stadt zu parken und mit dem Taxi in die City zu fahren, weil ich vom letzten Jahr wusste, dass die Straßen für den Umzug weiträumig gesperrt und das entstehende Verkehrschaos gewaltig sein würde. Einen klitzekleinen Schönheitsfehler hatte mein super Idee allerdings: Der Taxifahrer, mit dem ich zu vorgerückter Stunde aus der Stadt hinaus zurück zu meinem außerhalb der Sperrzone geparkten Auto fahren wollte, wusste von besagtem Verkehrschaos offensichtlich nichts. Oder zumindest wusste er nicht, wie er die zug- und feierbedingten Sperrungen am besten umgehen könnte. So brauchten wir für eine Strecke, die normalerweise keine 10 Minuten gedauert hätte, schließlich fast eine Stunde, während der der arme Kerl zunehmend fluchend, schwitzend und ratlos im Kreis herumkurvte. Jedes Mal, wenn wir wieder in Sichtweite der grölenden, tanzenden und feiernden Umzugsschlange landeten und von einem Polizisten oder einem Umleitungsschild gestoppt wurden, sank seine Laune weiter. Meine auch - ich hätte mich am liebsten in den Sitzpolstern verkrochen, so Leid tat er mir.
Endlich, als ich schon fast damit rechnete, dass er das Handtuch werfen und mich irgendwo im Nirgendwo bedauernd meinem Schicksal überlassen würde, hatte ein mitleidiger Kollege, der neben uns an einer Ampel hielt, Erbarmen, kurbelte sein Fenster herunter und rief meinem taxista zu, der einzige Weg aus der Stadt hinaus führe über den Berg und außen herum am Meer entlang. Das Taxameter zeigte mittlerweile längst astronomische Summen an; ich wühlte nervös in meiner Tasche herum, während wir bergan brausten, und überlegte, ob heutige Taxifahrer wohl noch Uhren und Ohrringe in Zahlung nehmen, falls mein Geld nicht ausreichte. Da hatte ich die kanarische Mentalität aber mal wieder falsch eingeschätzt: Als wir schließlich und endlich doch vor meinem Auto standen und ich den angezeigten Betrag bezahlen wollte, wies der Taxifahrer das entrüstet von sich. Es sei schließlich allein sein Fehler gewesen, dass er sich nicht vorab über die genauen Sperrungen und Umleitungen in der Stadt informiert habe. Ich könne nichts dafür, wenn er seinen Job schlecht gemacht habe. Er wolle nicht mehr als die 4,50 Euro, die die Fahrt normalerweise und auf direktem Weg gekostet hätte. Mir blieb die Spucke weg, damit hatte ich nicht gerechnet. Das schien mir dann doch zu viel der Selbstausbeutung zu sein. So dass ich mich schließlich in der surrealen Situation wiederfand, nächtens vor Las Palmas mit einem Taxifahrer auf Spanisch darüber zu streiten, dass er doch bitte mehr Geld von mir nehmen möge. Mit Müh und Not konnte ich dem guten Mann schließlich wenigstens einen Zehner aufdrängen, natürlich immer noch Lichtjahre vom eigentlichen Fahrpreis entfernt. Wir trennten uns in herzlichem Einvernehmen - und ich hatte dazu gelernt, dass der taxista canario zwar vielleicht nicht immer einen Plan, aber definitiv einen strengen Ehrenkodex sein Eigen nennt. Da könnten sich die Kollegen in Paris oder London ruhig mal eine Scheibe von abschneiden!