Der einzige Kaffee Europas


Kaffeepflanze-aus-Agaete
Dass das Valle de Agaete angeblich das fruchtbarste Tal Gran Canarias ist, wussten wir nach unserem ersten Besuch hier. Orangen, Mangos, Guaven, Avocado, Bananen und was auch immer das Herz an Obst und Gemüse begehrt, wachsen hier üppig und im Überfluss. Die Einheimischen behaupten steif und fest, Leonid Breschnew, der ehemalige Parteichef der KPdSU, hätte sich aus diesem Tal immer seine Papaya einfliegen lassen, da sich weltweit keine besseren fänden. Mag das nun stimmen oder nicht - unbestritten sind die landwirtschaftlichen Produkte aus unserem Tal wunderbar im Geschmack und lassen sich mit dem, was man an deutschen Obst- und Gemüsetheken landläufig so findet, überhaupt nicht vergleichen. Das liegt natürlich auch daran, dass die Transportwege kurz sind und das Obst deshalb am Baum bzw. Strauch reifen kann, statt grün geerntet und dann in Kühlcontainer erst einmal tagelang auf Reisen geschickt zu werden.

Der einzige Kaffee Europas wächst vor meiner Haustür

Dank einer Führung durch German Sosa, dem hiesigen Beauftragten für Tourismus, entdeckten wir aber schon kurz nach unserer Ankunft, dass hier im Tal auch noch etwas wächst, was man in Europa sonst nirgendwo anders findet: Kaffee! Im Schatten der Obstbäume des Tals werden meterhohe Sträucher kultiviert, die die begehrten Bohnen hervorbringen. Möglich macht das das einzigartige Mikroklima des Tals, das die richtige Mischung aus Sonne und Wärme, aber auch Windschutz und Schatten bietet. Kaffeepflanzen sind nämlich sehr empfindlich und nehmen zu viel Sonne genauso übel wie zu wenig Wärme. Aufwändig ist ihre Kultur außerdem: sie benötigen Unmengen an Wasser, da der Boden nie austrocknen darf, was natürlich umfangreiche Bewässerung notwendig macht. Ein Grund, warum Kaffee sonst meist in höheren Berglagen wächst, wo anhaltende Regenfälle ihm genügend Feuchtigkeit liefern. Und sie brauchen nährstoffreichen Boden - der im Tal durch den vulkanischen Ursprung der Insel ebenfalls vorhanden ist.

Der Legende nach berichtete im Jahr 1140 erstmals ein äthiopischer Hirte den Mönchen eines Klosters von einer merkwürdigen Beobachtung, die er gemacht hatte: Die Schafe, die er hütete, pflegten des Nachts - statt wie anständige Schafe Schäfchen zu zählen - von einem Ende ihrer Weide zum anderen zu tollen und keine Anzeichen von Müdigkeit erkennen zu lassen. Die Mönche gingen der Sache nach und entdeckten eine Pflanze, die auf dieser Weide wuchs und von deren Früchten die Schafe zu naschen pflegten. Sie probierten selbst von diesen Früchten und siehe da - auch sie waren nicht länger müde, sondern fühlten sich wach und erfrischt. Fortan bereiteten sie aus den Früchten der Pflanze einen Trank, der ihnen half, während der langen Nachtstunden im Gebet munter zu bleiben - den ersten Kaffee der Welt. Im arabischen Raum kultivierte man Kaffee bereits ab etwa 1200 n. Chr.; nach Europa fand das Getränk seinen Weg allerdings erst 1576, und zwar dank des deutschen Arztes und Botanikers Leonhard Rauwolf, der ihn von einer Expedition in den Orient mitbrachte. (Vielleicht ein Grund dafür, dass der Kaffee heute das Lieblingsgetränk schlechthin von uns Deutschen ist: Durchschnittlich trinkt jeder Bundesbürger 150 Liter Kaffee jährlich, das sind zweieinhalb Tassen pro Tag.) Auf die Kanaren gelangten die ersten Kaffeepflanzen vermutlich aber erst Ende des 18. Jahrhunderts, also ein ganzes Stück später. Seit dem 19. Jahrhundert wird im Valle de Agaete Kaffee angebaut. Im Jahr 1884 notierte der Arzt René Verneau in seinem Buch "Fünf Jahre auf den Kanarischen Inseln": "Der Kaffee und der Tabak von Agaete gelten als die besten der ganzen Insel."

Ein mühsames Geschäft

Geht man über die Kaffeeplantage, fühlt man sich ein bisschen wie in einem Dschungel, so dicht und üppig grün sind die Sträucher. Die Blätter erinnern von der Form her ein wenig an Lorbeerblätter. Im Juni beginnen sie zu blühen, die Blüten sind weiß, manchmal leicht rosa, und sehen ein wenig wie Jasmin aus. Die Ernte der Beeren beginnt dann im März und erreicht ihren Höhepunkt im darauffolgenden April bis Juni. In dichten Trauben sitzen die Beeren - cerezas gennant - direkt an den Stängeln und machen dem Pflanzer die Ernte nicht leicht: Da sich zu jedem Zeitpunkt Beeren verschiedener Reifegrade an einem Stängel befinden, wird der café de Agaete ausschließlich manuell und mit großer Sorgfalt geerntet, um maximale Qualität sicherzustellen. Nur ganz dunkelrote Beeren (en su punto) werden abgezupft, grüne und hellrote aber an den Stängeln belassen. Das erfordert viel Fingerspitzengefühl und Erfahrung - und ziemliche Geduld, denn aus einem Eimer Beeren von 7 - 8 kg Gewicht gewinnt man später etwa nur 1 Kilo verwendbare Kaffeebohnen, von denen sich je zwei in einer Beere verstecken. Im Valle erntet man nach der Methode pipeteo: die Beeren werden dabei einzeln von Hand gepflückt. So erzielt man natürlich ein qualitativ weit hochwertigeres Ergebnis, als nach der gängigeren Erntemethode sobado, bei der man mit der halbgeschlossenen Hand einen Zweig entlangfährt und die Beeren dabei abstreift - wobei sich natürlich manche unreife Beere mit unter die Ernte mogelt und die Beeren auch Gefahr laufen, gequetscht zu werden. Aber selbstverständlich ist pipeteo auch die aufwändigste und schwierigste Form der Ernte  - kein Wunder, dass die jährliche Produktionsmenge im gesamten Tal denn auch nur zwischen 1.500 und 2.000 Kilogramm liegt.

Ist der Kaffee geerntet, wird er getrocknet - auch das wieder ein sehr aufwändiger Vorgang: Unter freiem Himmel werden die cerezasauf Holzgestellen von etwa 1 x 2 Metern Größe, über die Drahtflächen gespannt sind, ausgebreitet. Die Schichten dürfen dabei nicht zu hoch gestapelt werden, da die Beeren sonst zu schimmeln beginnen würden. Während des Trocknungsprozesses müssen die cerezas regelmäßig gewendet werden, sie dürfen weder nass werden noch zu starker Sonne ausgesetzt sein. Auch das also wieder eine diffizile Angelegenheit! Während des Trocknungsprozesses werden die Beeren immer dunkler; optimal getrocknete Beeren rascheln beim Wenden und Schütteln, da sich die Bohnen darin frei hin- und herbewegen können (das dauert je nach Wärme und Jahreszeit hier bis zu 20 Tage. Dann werden die (noch grünen) Kaffeebohnen herausgeschält und von allem Fruchtfleisch befreit.

Und nun müssen die noch grünen Kaffeebohnen geröstet werden. Erst währenddessen entfalten die Bohnen ihren typischen Geschmack. Anders als in den großen Kaffeeröstereien, wo Dauer und Hitze der Röstung heute computergenau gesteuert werden, erfolgt auch dies in Agaete a mano, von Hand. Deshalb schmeckt der Kaffee von zwei unterschiedlichen fincas, der von zwei unterschiedlichen Spezialisten geröstet wurde, auch nie ganz gleich. Geröstet werden die Bohnen in großen Metall- oder Tonkesseln, die ständig in Bewegung sein müssen, da die Bohnen nur so gleichmäßig rösten. Ungefähr 15 - 20 Minuten dauert das bei einer Temperatur von 220 - 250 Grad Celsius, je nach Röstungsgrad unterschiedlich.

Etwas ganz Besonderes

Ein 250g-Paket des fertigen Endproduktes kostet den (für bekennende Tchibo-Kunden skandalös hohen) Preis von 15,- Euro. Wer aber einmal den aufwändigen Kultivations- und Verarbeitungsprozess miterlebt hat, zahlt das Geld gerne und fragt sich eher, ob er nicht noch zu niedrig angesetzt ist. Und wer den café de Agaete einmal probiert hat, ist für andere Kaffeesorten eigentlich verdorben - man kann sie trinken, aber sie schmecken einem nie wieder so wie vorher! Der café de Agaete ist wirklich etwas ganz Besonderes: sehr aromatisch, dabei sanft im Geschmack, mit ausgesprochen wenig Säure und wenig Bitterkeit. Sein Aroma erinnert ein bisschen an Schokolade und Süßholz - okay, das hätte ich jetzt nicht so benennen können, wenn man uns bei der auf die Finca-Führung folgenden Verkostung nicht darauf aufmerksam gemacht hätte, aber es stimmt wirklich! Der beste Beweis bin ich: ich bin nämlich eigentlich ganz und gar keine Kaffeetrinkerin, eher so der Latte-macchiato-Typ mit viel Milch und Zucker, bei dem sich der wahre Kaffeekenner (mein Mann zum Beispiel) mit Grausen abwendet. Mir ist Kaffee pur eigentlich viel zu bitter, und normalerweise schüttelt es mich, wenn ich aus irgendwelchen Gründen einen Espresso oder auch eine normale Tasse Kaffee ohne Milch und Zucker trinken muss. Aber der café de Agaete ist eine Ausnahme von dieser Regel: selbst mir schmeckt er ganz ohne Zutaten wunderbar.

Ich weiß, um sich als wahrer Gourmet und Kaffeekenner zu profilieren, muss man dieser Tage natürlich diesen komischen Musang-Kaffee von den Philippinen in den höchsten Tönen loben, dessen Bohnen erst einmal von den Dschungelkatzen gefressen, verdaut und wieder ausgeschieden werden müssen, damit sie ihren angeblich unnachahmlichen Geschmack entfalten können. Aber mal ganz abgesehen davon, dass mir allein die Vorstellung davon wahrscheinlich den Magen umdrehen würde, wenn ich so einen vorgesetzt bekäme, kann ich ehrlich gesagt nicht wirklich glauben, dass er so viel besser schmecken soll als unser Kaffee hier. Wie auch, unserem kann ich schließlich das ganze Jahr über beim Wachsen und Reifen zuschauen. Schon allein das macht ihn für mich absolut einzigartig. Und wenn ich dann noch lese, dass eine einzige Tasse des Katzen-Kack-Kaffees (sorry, aber das musste jetzt sein, so eine schöne Alliteration aber auch!) in New York oder Tokio über 50 Euro kostet - na dann gebe ich die 15,- Euro für das halbe Pfund Agaete-Kaffee doch ganz leichten Herzens aus!