Die Feste der Kanaren


Traditioneller-Festtanz
Gran Canaria hat ja nicht ganz so den Ruf der Partyinsel wie Ibiza, doch gerade im touristischen Süden, vor allem rund um Playa del Inglés, hat sich eine stabile Partyzone entwickelt, die den Bedürfnissen feierwilliger Urlauber alles bietet, was deren Herz begehrt: Clubs, Discos, Entertainment jeder Art. Das ist nun nicht so wirklich unser Ding, was wir aber in den letzten Monaten hier zunehmend kennen und schätzen gelernt haben, sind die Feste der Einheimischen. Meist sind sie religiösen Ursprungs und enthalten viele traditionelle Elemente, aber natürlich werden sie vor allem von der kanarischen Jugend durchaus auch zum ausgelassenen Abfeiern und Über-die-Stränge-Schlagen genutzt. Un botellón nennt man hier das, was bei deutschen Jugendlichen unter "Komasaufen" läuft und was der hiesigen Polizei zunehmend Ärger macht. Meist spielen sich die unschönen Szenen allerdings erst in den späten Nachtstunden ab - tagsüber und am Abend kann man die meisten kanarischen fiestas für einen Besuch wirklich nur empfehlen, wenn man Lust hat, mal jenseits der Touristenhochburgen ins "echte Leben" einzutauchen (und wenn man zufällig zur richtigen Jahreszeit auf der Insel ist).

Die geklaute Jungfrau von der Pinie und das Meer

Da wäre zunächst einmal das Fest der Virgen del Pino zu nennen, das am 8. September auch Anlass für einen gesetzlichen Feiertag auf Gran Canaria ist. Die Virgen del Pino (die Jungfrau von der Pinie) ist die Schutzheilige der Insel und deshalb ist ihr Ehrentag auch für viele das höchste Fest hier. Die Geschichte dahinter ist wieder mal ein hübsches Beispiel für die Kreativität, mit der sich die katholische Kirche vielerorts heidnische Elemente geschickt angeeignet und christianisiert hat, statt sie einfach nur zu bekämpfen (was sicher anstrengender und weniger Erfolg versprechend gewesen wäre). An der Stelle, an der heute im malerischen Bergdorf Teror die Basilika der Virgen del Pino steht, wuchs nämlich früher eine riesige Pinie. Zwischen ihren Wurzeln plätscherte eine Quelle, die für ihre Heilkraft auf der ganzen Insel berühmt war. In den Ästen der Pinie fanden sich zwei Steintafeln mit geheimnisvollen Inschriften, möglicherweise noch von den Ureinwohnern stammend. Die Guanchen verehrten die Pinie nämlich als heiligen Baum: er symbolisierte für sie Lebenskraft und sie waren überzeugt davon, dass er in Verbindung mit dem Meer stand. Speziell gefährliche Fluten und Strömungen wurden ihm zugeschrieben (behalten Sie das im Hinterkopf, während Sie weiterlesen!).

Bald nach der Ankunft der Spanier auf Gran Canaria, 1481 nämlich, erschien angeblich die Jungfrau Maria im Wipfel ebendieser Pinie einigen Gläubigen. Der Anbetungsort wurde deshalb praktischerweise einfach nur uminterpretiert und von der katholischen Kirche zum Marienwallfahrtsort erklärt. Im Laufe der Jahre wurde die Pinie gefällt, die Quelle trockengelegt und auch die Steintafeln verschwanden und mit ihnen jede Erinnerung daran, dass es sich eigentlich ursprünglich um eine heidnische Kultstätte gehandelt hatte. Stattdessen wurde an dieser Stelle eine Basilika errichtet, in der ein fast eineinhalb Meter hohes Marienbildnis aus Holz, prunkvoll gekleidet und geschmückt, verehrt wird.

Der von den Guanchen vermutete Einfluss der Pinie auf das Meer hielt sich jedoch sehr hartnäckig im Volksgedächtnis und ließ sich nicht einfach so tilgen. Anfang September jeden Jahres, meist tatsächlich um den 8. herum, gibt es ein Naturphänomen auf der Insel, das Mareas del Pino (Gezeiten der Pinie) genannt wird: besonders gefährliche und hohe Sturmfluten nämlich. Vor allem um den Vollmond zu diesem Zeitpunkt herum sind sie bei den Einheimischen gefürchtet. Das Wetterphänomen trat in der Tat auch dieses Jahr Ende August  mit besonders hohe Fluten an der Süd- und Südostküste von Gran Canaria auf, die mit ihrer Wucht diesmal teilweise sogar Häuser und Strandpromenaden beschädigten. Die katholische Kirche versuchte in den letzten Jahrhunderten zwar nach Kräften, Maria aus dieser Geschichte nach Möglichkeit herauszuhalten (eine offenbar übellaunige Schutzheilige, die das Meer aufwühlt, Schiffe zum Kentern bringt, Häuser zerschlägt und ab und zu auch Gläubige ertränkt ist irgendwie nicht so gut für die Popularität), trotzdem bringen auch heute noch viele canarios sie und ihren Feiertag mit dem hohen Wellengang in Verbindung.

Zu Fuß zur Jungfrau - bei 40 Grad und Sonnenschein

Aber zurück nach Teror und der dort am 8. September stattfindenden fiesta. Das Jahr über ist Nuestra Senora del Pino in einer separaten Kammer, dem Camarin de la Basilica, verborgen. Am 5. September wird die Statue in einer feierlichen Zeremonie hervorgeholt und rechts neben dem Altar der Basilika aufgestellt. Am 7. September dann beginnen Gläubige aus allen möglichen Ecken der Insel, zu ihr zu pilgern: la caminata del Pino hat begonnen! Der Brauch, der heiligen Jungfrau bei Krankheit oder anderen Sorgen das Jahr über zu geloben, an ihrem Ehrentag zu Fuß zu ihr zu pilgern, ist ebenso alt wie verbreitet, so dass dieses Jahr beispielsweise 80.000 Pilger gleichzeitig sich aus nah und fern auf den Weg zu ihr machten. Natürlich bei Temperaturen, die im Landesinneren oft leicht die 40-Grad-Grenze überschreiten können, denn schließlich befinden wir uns noch mitten im kanarischen Sommer! Je nach Entfernung und Wetterlage brechen deshalb viele erst in der Nacht zu dieser Tour auf - bis fünf Uhr früh haben sie Zeit, ihr Ziel zu erreichen und der Jungfrau gegenüber so ihr Versprechen einzulösen.

In Teror selbst findet am 7. derweil die zum Fest gehörende Romeria (eigentlich: Kirchweih) statt: Die umliegenden Gemeinden schicken dazu Ochsenwägen, beladen mit landwirtschaftlichen Produkten aus der Region, zur Basilika, wo sie der Virgen als Opfergaben überreicht werden (das erinnert ein wenig an unser deutsches Erntedankfest). Die Romeria ist wie die meisten dieser Veranstaltungen wunderschön anzusehen, da an ihr nur teilnehmen darf, wer kanarische Tracht trägt, und der Umzug von kanarischen Musikgruppen begleitet wird, die traditionelle Melodien (tenderete) spielen. Folkloredarbietungen aller Art gehören ebenfalls dazu. Die Nacht über wird dann in einer verbena gefeiert und getanzt, am 8. September beginnen morgens um 5 Uhr die Frühmessen, die stündlich gelesen werden, bis um 12 Uhr dann das Marienbildnis in einer feierlichen Prozession durch den Ort getragen wird.

Vor der Fiesta eine Siesta - nach der Fiesta eine Siesta

Die Festtage über ist der Ort bestückt mit unzähligen Verkaufsständen, Buden und Büdchen aller Art und natürlich jeder Menge Imbissswägen. Vor allem Devotionalienstände haben Hochkonjunktur: die virgen del pino in allen möglichen Größen, Materialien und Ausführungen wird ebenso gerne gekauft wie Votivkerzen, Rosenkränze, Heiligenbildchen und -statuen und allerlei anderes. Uns hat es viel Spaß gemacht, mittendrin zu sein und die fröhliche Stimmung des Fests mitzuerleben, auch wenn wir uns hitzebedingt von einem Schattenplätzchen zum anderen gemogelt haben und literweise Wasser in uns hineinschütten mussten. Natürlich gab es auch bei dieser fiesta ein paar Unbelehrbare, die meinten, cuba libre oder cerveza seien die bessere Getränkewahl, allerdings landeten die meistens ziemlich rasch im Straßengraben, wo sie dann ihren Rausch ausschliefen (was mich wieder mal über die Tatsache nachdenken ließ, dass fiesta und siesta sich im Spanischen nur durch den Anfangsbuchstaben voneinander unterscheiden - sehr sinnig meiner Meinung nach, da sie doch so eng miteinander verbunden sind: vor der fiesta braucht man eine siesta, damit man fit zum Feiern ist, und nach der fiesta dann wieder eine siesta, um sich von der fiesta zu erholen!).

Insgesamt waren die unvernünftigen Menschen aber zum Glück in der Minderheit. Die fiesta virgen del pino ist auch ein ausgesprochenes Familienfest, wird doch für jeden Geschmack etwas geboten. Schon die Kleinsten sitzen auf den Schultern ihrer Väter und bestaunen das silberglänzende Marienbild, die Elterngeneration freut sich über den Feiertag und die Gelegenheit, gemütlich mit Freunden und Verwandten zusammen zu feiern und die Älteren wiegen sich im Takt der tenderete und schwingen das Tanzbein dazu. Man darf keine Angst vor Menschenansammlungen haben und das Parken kann auch zu einer Herausforderung werden, aber ansonsten ist das Fest auf jeden Fall einen Besuch wert, finde ich!

Abstieg des Zweiges in den Hexenkessel

Ein zweites großes Fest findet alljährlich direkt vor unserer Haustür statt und ist Anziehungspunkt für über 20.000 Menschen: die Bajada de la Rama in Agaete. Erzählt hatte man uns davon im Vorfeld schon eine Menge, auch, dass Agaete sich dann in einen wahren Hexenkessel von Feiernden verwandeln würde. Wir hatten genickt und es nicht so recht glauben können: Unser verschlafenes Agaete, in dem der samstagabendliche Tratsch der Einheimischen auf dem Dorfplatz nach dem Kirchbesuch und die caña danach bei Pepe im El Perola für die meisten der Höhepunkt exzessiven Feierns zu sein schienen? Nie im Leben!

Dass wir da gründlich daneben lagen, wurde uns am 3. August klar. Schon in den Wochen davor waren im Dorf hektische Vorbereitungen im Gange: Mal mussten wir abenteuerlichen Umleitungen folgen, weil die Dorfstraßen gesperrt waren, während städtische Angestellte überall Girlanden mit bunten Wimpeln von Haus zu Haus spannten. Auf dem Kreisel am Ortseingang tauchten plötzlich meterhohe blaue Buchstaben auf, die marktschreierisch "LA RAMA" verkündeten. Und an Häusern im Ortskern, die bisher wie ganz normale Wohnhäuser ausgesehen hatten, klebten plötzlich Schilder, die chupitos (Schnäpschen) für einen Euro anpriesen - ohne dass uns auf den ersten Blick jetzt klar gewesen wäre, wo diese Schnäpschen herkommen sollten. Die Woche über hatten außerdem auf dem Dorfplatz immer wieder kleinere Aktivitäten stattgefunden: Folkloregruppen traten auf, verschiedene Musikbands schraddelten ein bisschen herum, und rund herum waren eine Handvoll (noch geschlossener) Imbisswägen aufgestellt worden. Ein bisschen animierter wirkte das Dorfzentrum dadurch schon im Vergleich zu seinem sonstigen Dornröschenschlaf, aber Menschenmassen konnten wir nicht ausmachen.

Bis zum 3. August abends. Da startete die verbena, in deren Rahmen die Läufer verabschiedet werden, die zum Pinar de Tamadaba aufbrechen, um von dort büschelweise frische Zweige zu holen. Bajada de la Rama bedeutet übersetzt nämlich eigentlich: "der Abstieg des Zweiges", und genau darum geht es bei diesem Fest: Mitten in der Nacht, im Stockdunklen, nur mit Fackeln bewaffnet, steigen die Einheimischen fast 1000 Meter hinauf auf den nahe gelegenen Berg, auf dessen Gipfel ein Pinienwald wächst. Sie schneiden meterlange Zweige ab, binden sie zu großen Bündeln zusammen und bringen diese dann bei Tagesanbruch hinunter ins Dorf. Auf dem Dorfplatz sammeln sie sich, bis sie dann in einer Prozession hinunter zur Kapelle der Virgen de las Nieves am Hafen ziehen und vor dieser die Zweige auftürmen, bis die gesamte Vorderwand des Kirchleins hinter grünen Blättern verschwunden ist. Mit dieser Prozession ist die Bitte um Regen verbunden. Manche Quellen behaupten, das Fest gehe ursprünglich auf ein Regenritual der Guanchen zurück, die mit Pinienzweigen auf das Meer einschlugen, um Regen herbeizurufen - wieder diese Verbindung zwischen Pinie, Meer und Wasser! Gesichert ist das aber nicht.

Drei Tage Party pur mit viel Alkohol, dafür ohne Schlaf

Ich denke, den meisten ist es mittlerweile auch herzlich egal, wo das Fest seinen Ursprung hat - für die meisten ist es vor allem Anlass für eine riesige, fast drei Tage ununterbrochen andauernde Party! Als wir am Abend des 3. August in den Ort hinunterfuhren, wunderten wir uns schon etwas über die Größe der zusätzlichen Parkplätze, in die alle möglichen umliegenden Felder und brachliegenden Felder verwandelt worden waren. Ziemlich abenteuerlich schon das - man musste sehr aufpassen, damit man mit dem Auto aus den diversen Ackerfurchen auch später wieder herauskam. An die 20.000 Besucher fingen wir zu glauben an, als wir das Ortszentrum erreichten und den Dorfplatz vor Menschen überquellend vorfanden. Die scheinbaren Wohnhäuser hatten sich in Bars verwandelt - an allen möglichen Stellen waren Fenster und Türen geöffnet oder gleich ganz ausgehängt und dahinter mit Brettern Theken improvisiert worden. Ganze Familien standen dahinter, schenkten im Akkord Getränke aus oder reichtenbocadillos (belegte Brötchen) und perros calientes (Hot Dogs) an die Kunden hinaus. Hinter einer bisher immer verschlossenen Hoftür, hinter der wir bisher einen ganz normalen patio vermutet hatten, erspähten wir eine komplette, professionelle Zapfanlage.Offensichtlich gab es eine ganze Reihe von Anwohnern, die aus der Not eine Tugend machten und sich - da sie während der Feierlichkeiten bestimmt ohnehin kein Auge zutun konnten - wenigstens ein ordentliches Zubrot verdienten.

Und sie kamen ganz sicher auf ihre Kosten! Denn mit jeder Stunde, die vorbeiging, wuchs die Menschenmasse weiter an, bis am Mittag des 4. August, dem Zeitpunkt der eigentlichen Prozession, schließlich der komplette Dorfkern so vollgepackt mit Feiernden war, dass man keine Stecknadel mehr fallen hätte lassen können. Tatsächlich, ein Hexenkessel! Denn viele der Besucher dachten gar nicht daran, zwischendrin einmal Pause zu machen: Begonnen wurde mit der Feier Mittwochabend, und von diesem Zeitpunkt an bis zum frühen Morgen des Samstag, als die abschließende verbena zu ihrem Ende kam, wurde einfach durchgefeiert. Gelegentlich sah man Partyfans hier und da unbekümmert auf Parkbänken oder gleich auf dem Bordstein zusammengerollt ein kleines Nickerchen machen - Alkohol floss natürlich in Strömen und mag das Einschlafen dem einen oder anderen erleichtert haben - aber das war auch das einzige Zugeständnis an körperliche Erschöpfung, das gemacht wurde. Wenn man bedenkt, dass ja nicht wenige der Feiernden zusätzlich zu allem anderen noch den nächtlichen Auf- und Abstieg zum Pinar de Tamadaba hinter sich gebracht hatten, eine ziemlich beeindruckende konstitutionelle Leistung!

Wer sich übrigens unter einer Prozession in diesem Zusammenhang etwas Feierliches, Gediegenes vorstellt, ist falsch informiert - die Bajada selbst erinnert eher an einen Faschingszug als an eine religiöse Zeremonie: Wild hopsend und tanzend, begleitet von infernalisch lauter Musik und Gesang bahnen sich die Zweigträger ihren Weg durch die Massen von Zuschauern und Feiernden in den Straßen hinunter zum Hafen. Mittendrin schwanken die papahuevos über der Menge; überlebensgroße Figuren von prominenten Bewohnern des Ortes aus Pappmaché. Wer es feierlich haben wollte, musste bis zum Vormittag des 5. August warten, an dem die Statue der Virgen de las Nieves in einer der üblichen Prozessionen durch den Ort getragen und verehrt wurde. Bis dahin waren freilich nicht wenige der vor allem jugendlichen Anwesenden schon nicht mehr in der Lage, sich auf den Beinen zu halten - vor Müdigkeit ebenso wie aufgrund exzessiven Alkoholkonsums. Die eigentlichen religiösen Anteile der Feier wurden deshalb eher von den Einheimischen mittleren und höheren Alters frequentiert. Das machte aber auch durchaus einen Teil ihres Reizes aus!

... und ohne Klo!

Wir haben selbst nicht das Durchhaltevermögen der canarios an den Tag gelegt - wir haben uns immer wieder mal ein- und dann aber auch wieder ausgeklinkt, was natürlich auch dem Standortvorteil zu verdanken war. Die Auswärtigen hatten da weniger Glück und mussten sich in Sachen Schlafen einiges einfallen lassen - neben der Variante mit Parkbänken und Gehwegen waren einige so schlau, Zelte und Schlafsäcke mitzubringen und am Ortsrand zu campieren oder sogar ihre Wohnmobile dort zu parken. Letztere hatten dann gleich noch einen weiteren wesentlichen Punkt mit erschlagen: den des stillen Örtchens nämlich! Verwöhnt von Weinfesten in der Pfalz, wo alles bestens organisiert und auf Touristen abgestimmt ist und pro 100 Festbesucher mindestens ein Toilettenwagen aufgestellt wird, gehen die canarios über solche Petitessen nämlich bei fiestas mit ihrer eigenen Lässigkeit einfach hinweg. Ich habe ganz Agaete und Umgebung wirklich sehr gründlich durchforstet, weil ich es schlicht nicht glauben konnte, aber es war tatsächlich so: Nirgendwo stand auch nur ein einziges armseliges Dixie-Klo für die 20.000 Besucher! Schlimmer noch: die offiziellen Kneipen des Ortes (so auch unsere Stammkneipe El Perola) müssen wohl in der Vergangenheit schlechte Erfahrungen mit dem Ansturm der bierseligen Horden gemacht haben. Jedenfalls hatten sie alle ihre Eingänge so geschickt mit improvisierten Thekentischen verbarrikadiert, dass zwar noch Straßenverkauf von Getränken möglich war, aber das Betreten der eigentlichen Kneipe (und damit der Zugang zu den dortigen Toiletten) nicht mehr.

In anderen Worten: Entweder, man wohnte während der drei Tage der fiesta selbst in Agaete oder hatte dort Freunde oder Verwandte wohnen - dann hatte man das Glück, seine konsumierten Getränke und sonstiges bei Bedarf auf gewohntem Weg in die Kanalisation entsorgen zu können. Gehörte man nicht zu dieser kleinen Gruppe - tja, dann musste man sehen. Etliche wählten wohl den Gang ins Meer, um das Problem zu lösen (dank der Hitze konnte man damit gleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen und anschließend erleichtert und erfrischt weiterfeiern gehen). Aber eine ganze Menge Bedürftiger fackelten auch nicht lange und erledigten, was zu erledigen war, ungehemmt in aller Öffentlichkeit. Die Herren der Schöpfung haben es da ja leichter und waren in der Wahl des Lokus (sic!) nicht kritisch - mit Fortschreiten der Feierlichkeiten konnte man olfaktorisch leicht bestimmen, welche Straßen und Gässchen besonders bevorzugt genutzt wurden und ich habe mehr als einen Hausbesitzer im Ortskern zu diesem Zeitpunkt heftig bedauert. Aber auch die Damen waren (vor allem im fortgeschritten alkoholisierten Zustand) nicht zimperlich und nutzten Gehwegränder und Toreinfahrten für ihre Zwecke. Übrigens war es interessant zu beobachten, dass sie dies - ganz, wie es uns Frauen auch sonst gern nachgesagt wird - meist im Pulk taten. Kaum je sah man eine Dame allein irgendwo in der typischen Hockstellung, meistens waren es zwei oder mehr, die wie die Hühner auf der Stange nebeneinander aufgereiht und fröhlich plaudernd alle Scham fahren ließen und anschließend gelöst zurück auf die Tanzfläche scharwenzelten.

Seit der Bajada haben wir noch einige weitere fiestas miterlebt, und bei keiner war das Problem auch nur annähernd zufriedenstellend gelöst, wie ich feststellen durfte. Die könnten sich vom Pfälzer Tourismusbüro und deren Hygienevorschriften wirklich ein bisschen was abschauen! Aber dieser laxe Umgang mit den Besucherbedürfnissen gehört hier offenbar einfach dazu. Die fiestas sind gewachsene Tradition; sie werden von den Einheimischen vor allem und in erster Linie für sie selbst veranstaltet, und es interessiert niemanden, ob die Touristen sich dabei amüsieren oder gut versorgt fühlen oder nicht. Wir haben viele Weinfeste in der Pfalz erlebt, und im Rückblick muss ich sagen, dass diese im Vergleich zu den hiesigen fiestas eher wie Touristik-Werbeveranstaltungen wirken: exzellent organisiert, ansprechend gestaltet, bei allem immer die Erwartungen und Wünsche externer Besucher im Blick.

Dagegen wirken kanarische fiestas immer ein bisschen chaotisch und improvisiert. Zusätzliche Sitz- und Essgelegenheiten wie Bierbänke und -Tische? Aber woher denn - man kann ja auch im Stehen essen und trinken und die versierten Einheimischen haben eh ihre eigene Campinggarnitur im Rucksack dabei. Ja, bei manchen Festen - beispielsweise bei der Romería in Arucas - gab es nicht einmal zusätzliche Imbissstände! Zwar konnte man bei manchen Kneipen die üblichen bocadillos kaufen, aber mehr Anstrengungen, die Massen zu verköstigen, wurden nicht unternommen. Wahrscheinlich hätten sie sich auch nicht gelohnt, denn auch hier hatten, wie wir schnell registrierten, die Profis vorgesorgt und ihr eigenes Essen im Picknickkorb oder Rucksack dabei. Wir Anfänger hatten das Nachsehen - aber nächstes Jahr sind wir schlauer und vorbereitet! Wie sich das umgekehrte Problem der Entsorgung mangels öffentlicher Toiletten scham- und hygieneverträglich lösen lässt, darüber muss ich noch nachdenken. Bisher halte ich mich an den (im Sommer hier leicht umsetzbaren) Rat meiner großen Schwester, die in ähnlichen misslichen Situationen empfahl: "Schwitz es halt durch die Rippen!" Die Methode hat allerdings ihre Grenzen, das ist klar. Ich werde mich halt doch vielleicht mal näher über Blasenkatheder informieren müssen ...

Übrigens hat - sanitäre Verhältnisse hin oder her - das Regen-Ritual an sich prompt funktioniert, zumindest dieses Jahr: Hatten wir am Tag der Bajada selbst noch glühende Sommerhitze und Temperaturen nahe an 40 Grad, war es am Tag darauf plötzlich wolkig und es fielen sogar einige Regentropfen. Sehr ungewöhnlich im August! Sollte etwa doch mehr an der ganzen Sache dran sein, als man als aufgeklärter Mitteleuropäer so glauben möchte?