(K)ein Thema: das Wetter


Blauer-Himmel
Gran Canaria gilt allgemein als Insel des ewigen Frühlings. Die Temperaturen gehen im Sommer selten über 27 °C hinaus, im Winter fallen sie ebenso selten unter die 21 °C-Marke. Das gleichmäßige Klima gilt als sehr gesund für Herz und Kreislauf, soll den Blutdruck senken und auch sonst gegen allerlei Zipperlein helfen. Die Südhälfte der Insel ist trockener und heißer, da das Zentralgebirge die meisten Wolken und auch die Passatwinde abhält, die dem Norden der Insel vor allem im Winterhalbjahr häufiger mal Regen und auch etwas kühlere Temperaturen bescheren. Dafür sind in der Nordhälfte auch die Calima-Tage - Tage, an denen die Insel von heißen Wüstenwinden aus Afrika heimgesucht wird, die neben Temperaturen über 40 °C auch einen Schleier feinen Wüstensands mit sich führen - weit seltener. Und natürlich ist die Vegetation eine weit üppigere als im ariden Süden, vor allem in den Wintermonaten. So steht es jedenfalls in den meisten Reiseführern von Gran Canaria zu lesen.

Der Süden den Touristen - der Norden den Einheimischen

Wir selbst hatten uns in erster Linie für den Norden der Insel als Wohnsitz entschieden, weil wir die relative Nähe zur Hauptstadt Las Palmas suchten. Von Agaete, unserem Dorf aus, ist man dank der an der Küste entlang führenden, gut ausgebauten Autobahn, in 25 Minuten mitten in der City. Das war uns wichtig, denn auch wenn wir schon in Deutschland lieber außerhalb der Stadt als mittendrin gewohnt hatten, schätzten wir doch die Möglichkeiten, die eine moderne Großstadt zu bieten hat und wollten uns nicht völlig abseits der Zivilisation eingraben. Gegen den Süden der Insel sprach in unseren Augen auch die Tatsache, dass die Orte dort weit touristischer sind als im Norden. Die meisten Urlauber zieht es zu den großen Sandstränden, die sich im Süden finden, Playa del Inglés oder Maspalomas, um nur zwei davon zu nennen.

Diese Zentren sind dann nicht nur fest in deutsch-englisch-skandinavischer Hand - selbst das kleinste Geschäft ist hier noch rundum auf Touristen eingestellt -, sondern auch vielerorts durch die Bausünden der vergangenen Jahrzehnte, derer sich die Canarios leider schuldig gemacht haben, verschandelt. Bettenburg reiht sich an Bettenburg, viele davon nur halb fertige, aus Geldmangel verlassene Bauruinen, unterbrochen wird das Ganze nur durch Golfplätze und Poolanlagen. Einfach scheußlich! Auch die Art des Tourismus im Süden traf einfach nicht unseren Geschmack. Weder waren wir jung genug, um uns von der Partymeile in Playa del Inglés angezogen zu fühlen, noch glaubten wir, dass es uns hier auf Gran Canaria häufiger nach Schweinshaxe mit Sauerkraut oder Tchibo-Kaffee mit warmem Apfelstrudel und Vanilleeis verlangen würde. Auch die Ghettoisierung deutscher Rentner, die im Süden vor allem über die Wintermonate zur Okkupierung ganzer Ferienwohnanlagen führte, stieß uns eher ab. Wenn ein ganzer Ortsteil schon auf den Straßenschildern deutsch als „Sonnenland“ ausgeschildert ist, dann hält man sich, sucht man spanische Kultur und Lebensart, lieber fern davon.

Natürlich war uns klar, dass - statistisch gesehen - vor allem im Winter im Norden öfter mal Regen zu erwarten sein würde und wir häufiger als im Süden mit bewölktem Himmel zu rechnen haben würden. Wir beschlossen aber, dass das unserer Arbeitsmoral - schließlich waren wir noch keine Rentner! - eher förderlich sein und vor allem mich als notorische Sonnenanbeterin vor einem frühen Ableben durch Hautkrebs bewahren könnte. Und als wir das erste Mal durch das Valle de Agaete kurvten, das sich zu diesem Zeitpunkt, im Dezember, üppig grün und tropisch wild präsentierte, war die Entscheidung sowieso gefallen. Dagegen konnte die wüstenartige Atmosphäre des Südens in unseren Augen einfach nicht an!

Die Insel, auf der es angeblich niemals regnet

Dass uns die Insel dann prompt am Tag nach unserem Einzug gleich bewies, dass „tropisch“ auch „Unwetter“ beinhalten kann, hätte von uns aus jetzt nicht sein müssen. Gelandet waren wir an einem Novembersonntag bei strahlendem Sonnenschein - in der Nacht zum Montag brach die Hölle los. Ein temporal, wie er Gran Canaria in dieser Stärke seit fünf Jahren nicht mehr heimgesucht hatte, fegte über uns hinweg. Sturmböen mit 150 km/h knickten Bäume und Strommasten und deckten Dächer ab - Warnstufe Rot wurde ausgerufen. Die Flughäfen der kleineren Inseln, La Palma, El Hierro und La Gomera mussten den Betrieb einstellen, auch auf den größeren Inseln wurden viele Flüge wetterbedingt verzögert oder ganz gestrichen. Sintflutartige Regenfälle überschwemmten die Straßen und verursachten Erdrutsche und Steinschläge. Schulen, Behörden und viele Geschäfte blieben geschlossen; wer nicht unbedingt hinaus musste, blieb zu Hause und versuchte, die eindringenden Wassermassen von Türen und Fenstern fernzuhalten. So auch wir - kanarische Häuser werden nämlich offensichtlich von lauter sehr optimistischen Handwerkern erbaut, die Regen für eine vernachlässigenswerte Ausnahmeerscheinung in ihrem sonnigen Alltag halten.

Einige Monate später las ich übrigens George Sands Bericht „Ein Winter in Mallorca“, in dem sie ihre Reise mit Frédéric Chopin auf die spanische Insel im Jahr 1838 beschreibt. Ich musste hellauf lachen, als ich feststellte, dass sich in knapp 200 Jahren an der spanischen Inselmentalität offenbar nicht viel geändert hat, denn sie schreibt: „Auf diese heiteren Nächte folgte unvermittelt die Sintflut. Nachdem eines Nachts der Wind unseren Schlaf mit seinem langgezogenen Stöhnen begleitet hatte, während der Regen an unsere Fensterscheiben trommelte, weckte uns am Morgen das Tosen das Baches, der sich seinen Weg durch das steinige Bett bahnte. Am nächsten Tag tobte er lauter und am übernächsten rollte er die Steine, die ihm im Weg waren. Alle Bäume waren ihrer Blüten beraubt, und das Regenwasser rann durch die undichten Zimmer. - Es ist unverständlich, wie wenig sich die Mallorquiner gegen die Landplagen Sturm und Regen wappnen. Aus Einbildung oder auch aus Angabe leugnen sie diese gelegentlichen aber heftigen Unfreundlichkeiten ihres Wetters glatt ab. Bis zum Ende der beiden Monate strömenden Regens, die wir durchstehen mussten, beharrten sie darauf, dass es in Mallorca niemals regnet.“

Unwetter-Tests für Haus und Bewohner

Nun, zum Glück waren wir nicht auf Mallorca, sondern auf Gran Canaria, und daher waren es keine zwei Monate, sondern nur ein paar Tage solchen Wetters, die wir erlebten, aber die waren beeindruckend genug! Kein Fenster unseres Hauses, stellten wir rasch fest, verfügte über so etwas Banales wie eine Gummidichtung. Offensichtlich teilen kanarische Handwerker die unerschütterliche Überzeugung der Mallorquiner, dass es auf ihrer Insel niemals regnet und so etwas deshalb überflüssig ist. Infolgedessen drang der Regen, den der Sturm praktisch waagrecht gegen die Mauern drosch, vergleichsweise ungehindert durch Ritzen und Spalten. Ein Dachziegel hatte dem Wind nicht Stand halten können und war in die Bougainvillee geweht worden, so dass das Wasser jetzt auch von oben ins Schlafzimmer tropfte. Unsere Katze verkroch sich im Kleiderschrank und erklärte, bis zur Behebung dieser inakzeptablen Situation nicht gestört werden zu wollen. Wir sprangen mit Handtüchern und Eimern von einem Eck zum anderen und versuchten, den Schaden einzudämmen. Um die Moral oben zu halten, versicherten wir uns gegenseitig, das sei doch praktisch, dass das Haus jetzt gleich so eine Bewährungsprobe zu überstehen hätte - wenigstens wüssten wir dann genau, wo die Schwachstellen lägen und könnten gleich nach Abklingen des Sturms mit den nötigen Renovierungsarbeiten punktgenau beginnen. Positives Denken unter Extrembedingungen!

Fernsehen, Telefon- und Internetleitung brachen relativ zeitgleich in sich zusammen. Mit letzterem hatten wir mehr oder weniger rechnen müssen, da wir noch über keine Festnetzleitung verfügten, sondern über eine mobile Leitung telefonierten, während wir auf die Freischaltung der línea ficha warteten. (Später mussten wir allerdings feststellen, dass auch eine kanarische línea ficha offensichtlich nicht unter allen Umständen wasserfest ist). Das mit dem Fernsehen kam überraschender - terrestrisch, das war uns schon klar gewesen, und das kannten wir auch schon aus Deutschland, aber dass die Sender bei Starkregen reihenweise ausfallen, hatten wir bisher noch nicht erlebt. Als dann auch noch mit einem ohrenbetäubenden Krachen der Blitz irgendwo in der Nähe einschlug und in der Folge der Strom für über eine Stunde ausfiel, erwogen wir ernsthaft, uns zur Katze in den Kleiderschrank zurückzuziehen. An Schlaf war nicht zu denken - der Sturm rüttelte an den (natürlich einmalverglasten) Fenstern und Türen derart heftig, dass wir alle Naselang aufschreckten in der Überzeugung, jetzt sei aber ganz bestimmt eine Scheibe geborsten. Wir lagen hellwach im Bett und bereuten, nicht schon vorab eine Elementarschadenversicherung fürs Haus abgeschlossen zu haben.

Fast drei Tage hatte das Unwetter die Kanaren fest im Griff, dann war der Spuk vorüber und die Normalität kehrte zurück. Wir steckten die Nase aus dem Haus und stellten erstaunt und erfreut fest, dass die Schäden sich in Grenzen hielten. Ein zertrümmerter Blumentopf, ein paar abgestürzte Ziegel und ein abgerissenes Stück Terrassendach aus Plastik, das war es im Großen und  Ganzen. Wir hatten Glück gehabt und waren mit einem blauen Auge davon gekommen. Das Haus hatte dem Unwetter tapfer Paroli geboten - tapferer als einige der Nachbarhäuser, an denen weit schlimmere Schäden erkennbar waren. Wir atmeten auf und machten uns auf den Weg zum Baumarkt, Gummidichtungen und Spachtelmasse fürs Dach besorgen. Insel des ewigen Frühlings? Ja, vielleicht - aber wir hatten jetzt auch die andere Seite des Paradieses kennengelernt und wollten für Wiederholungen gewappnet sein.

Die nächsten Wochen lachte die Sonne vom blauen Himmel und strafte unsere Besorgnis Lügen. Während Deutschland unter Schnee und Eis verschwand und die Heizkosten in unserer alten Heimat explodierten, genossen wir Temperaturen zwischen 20 und 25 Grad, in der Sonne oft mehr. Häufig saßen wir schon beim Frühstück in kurzen Ärmeln draußen und freuten uns an der Wärme und der frühlingshaften Atmosphäre. Abends schauten wir den deutschen Wetterbericht übers Internet und grinsten uns an. So hatten wir uns das doch vorgestellt!

Anfang Februar - wir hatten den wettertechnisch dramatischen Einstand in unserer neuen Heimat schon fast vergessen - erwischte es uns dann wieder. Und wieder brach das Chaos an einem Sonntag los: Sturm und unglaubliche Regenmassen, als wollte der Himmel das ganze Wasser, das er normalerweise schön gleichmäßig über die Wintermonate verteilt loszuwerden pflegt, auf einmal auf uns herunter schütten. Natürlich fiel wieder der Strom aus, Erdrutsche und Schlammlawinen sorgten dafür, dass Straßen gesperrt werden mussten und mehrere Ortschaften zeitweise von der Außenwelt abgeschnitten wurden. Wir ließen es gar nicht drauf ankommen, sondern verbarrikadierten uns daheim und verfolgten das Geschehen am Bildschirm - das heißt, soweit der Empfang funktionierte. Speziell auf Teneriffa schien es diesmal schlimm zu sein; die ganze Innenstadt von Santa Cruz hatte mit aus den Bergen angespültem Schlamm zu kämpfen und vom Hochwasser wurden sogar Autos fortgespült. In Las Palmas gab es diesmal sogar ein Todesopfer, als ein Baugerüst durch den Sturm umstürzte und einen Arbeiter erschlug. Die Schulkinder blieben wieder einmal drei Tage lang zu Hause - so allmählich bekamen wir eine Ahnung davon, warum sich kanarische Schüler in PISA-Studien immer auf den hinteren Plätzen tummeln. Immerhin konnten wir uns diesmal zur Wettertauglichkeit unseres Hauses gratulieren - dank unserer Isolierungs- und Ausbesserungsarbeiten im Dezember waren keine Wasserschäden zu beklagen.

Winter auf Gran Canaria

War es die ganze Zeit über bei all diesen Wetterkapriolen relativ warm geblieben - zwar fielen die Temperaturen nachts gelegentlich auf 13, 14 Grad, tagsüber stiegen sie aber doch zuverlässig auf die im Reiseführer versprochenen 20 Grad und mehr - bekamen wir im März (als schon kein Mensch mehr damit rechnete) auch noch die kanarische Version von „Winter“ präsentiert. Schon Ende Januar hatte es einige Tage gegeben, an denen die lokale Zeitung „Canarias 7“ marktschreierisch verkündete: ¡Canarias tiritan con el alisio! - Die Kanaren zittern unter dem Passatwind! Wir fanden das leicht übertrieben. Zittern mussten wir nun wahrlich nicht. Sicher, der Wind war schon ziemlich kühl, aber trotzdem zeigte unser Thermometer im Schatten immer noch 16 Grad an. In unseren (deutschen) Augen kein Grund, eine neue Eiszeit auszurufen. Die Empörung, mit der „Canarias 7“ konstatierte, an der Playa de las Canteras, dem großen Stadtstrand von Las Palmas, seien um die Mittagszeit nur 17 Grad gemessen worden, konnten wir nicht ganz teilen. Schließlich war Januar und wir an ganz andere Wetterverhältnisse aus unserer Heimat gewöhnt.

Die canarios sahen aber schon das ganz anders als wir. An einem dieser Tage - es war wunderschön sonnig - waren wir zum Einkaufen in Gáldar unterwegs, als uns eine junge Dame entgegenkam: Stiefel bis zum Knie, Winterjacke, Schal und Handschuhe! Kurz musterte sie unser Outfit - Turnschuhe, Jeans, T-Shirt und eine leichte Jacke darüber  - und wandte dann verächtlich den Blick ab: Touristen! Nicht ganz bei Trost! Wir lächelten verlegen, doch heimlich amüsierten wir uns auch über das Wärmebedürfnis der Einheimischen. Wie konnte man bei 17 Grad Außentemperatur frieren? In Deutschland wäre das ein wunderbarer Vorfrühlingstag gewesen, den man freudig begrüßt und mit einem Cappuccino im Straßencafé gefeiert hätte! Auch unsere finnische Nachbarin Pirkko rollte nur mit den Augen und urteilte streng: „Die wissen hier doch gar nicht, was ein echter Winter ist - die spielen jetzt halt Winter, weil‘s auf dem Kalender steht!“

Bis März hatten wir aber offenbar irgendwie das Lager gewechselt, ohne es zu merken. Am 13. März rief die Dirección General de Emergencias y Seguridad del Gobierno de Canarias wieder einmal den Alarmzustand wegen drohender Unwetter aus. Es wurden starke Regenfälle an den Küsten erwartet, ab 1300 Meter auch  Schnee. Grund genug für die Behörden, Campingplätze zu evakuieren und Straßen vorsorglich zu sperren. In der Gemeinde Mogán ging zum Auftakt ein Hagelschauer nieder, was erstmals die lokale Presse auf den Plan rief. Bei uns fiel das Thermometer auf 14 Grad. Wir schalteten die Heizung auf Dauerbetrieb und ich jammerte herum ¡Hace un frío que te cagas! (fluchen auf spanisch war eins der ersten Dinge, die ich hier gelernt habe!), während ich über den Hof ging, um Wäsche aufzuhängen. Diesmal ordneten die Behörden allerdings kein Schulfrei an. Man wickelte die Kinder in sämtliche verfügbaren Daunenjacken, ehe man sie besorgt seufzend in die Kälte hinaus entließ. Straßen und Plätze, normalerweise animiert und voller Menschen, waren wie leergefegt.

Schneeballschlacht und chocolate caliente in den Bergen

In den nächsten Tagen fiel die Schneefallgrenze auf 1000 Meter, was in den letzten 50 Jahren auf den Kanaren nicht mehr passiert war. Der Teide auf Teneriffa, der von unserer Terrasse aus klar sichtbar war, trug bis weit unten ein Schneehäubchen und wurde für den Autoverkehr komplett gesperrt. Der folgende Montag ging als der kälteste Tag seit 40 Jahren in die Annalen der kanarischen Wetterfrösche ein: 12 Grad an den Küsten und selbst in Las Palmas nicht mehr als 14 °C! Tagsüber!! Mittags!!!! Die canarios verschanzten sich entsetzt in ihren Häusern oder Cafés und ermahnten einander zu Fassung und Seelenstärke angesichts der dramatischen Situation. ¡Valor y al toro!

Wann immer man den Fernseher einschaltete, sah man Bilder von todesmutig einzelne Schneeflöckchen mit riesigen Schaufeln beiseite schiebenden Straßenarbeitern. Von einer geschlossenen Schneedecke konnte zwar unter 1000 Metern Höhe nirgendwo die Rede sein, allerdings fanden sich in etwas höher liegenden Orten nach einigem Suchen schon hier und dort gut zwei Zentimeter in manchem Straßengraben - genug jedenfalls für die Reporter, um die Kamera darauf zu richten und mit tremolierender Stimme über diesen meteorologischen Schluckauf zu räsonieren! Wir vermuteten, dass diese Helden der (Kälte-)Front bestimmt in der nächsten Woche die Tapferkeitsmedaille verliehen bekommen würden. Die Moderatoren im warmen Studio stellten bei solchen Bildern mitfühlend die Kragen auf, blickten besorgt in die Kamera und mahnten, jeder möge zu Hause bleiben, der nicht unbedingt hinaus müsse - die Straßen seien gefährlich. Ab 1000 m Höhe fanden sich doch tatsächlich 20 cm Schnee, ab 1600 m fielen die Temperaturen gar in den Minusbereich. Absoluter Ausnahmezustand!

Eine entzückende Szene konnten wir live im kanarischen Frühstücksfernsehen miterleben: Während ein Reporter  gerade von einem Berggipfel aus dem Schnee berichtete, fielen ein paar Flocken vom Himmel. Sowohl der Reporter vor Ort als auch die beiden Moderatoren im Studio verfielen daraufhin unmittelbar in unkontrolliertes Gequietsche, ungefähr wie Dreijährige angesichts des erstens Schnees ihres Lebens. Der Reporter wedelte begeistert mit seinem Mikrofon in den Schneeflocken herum und bemühte sich, ein paar Kristalle auf der behandschuhten Hand in die Kamera zu halten, um jedermann an diesem Wunder teilhaben zu lassen. Die Agencia Estatal de Meteorología erklärte, noch nie seit Menschengedenken seien derartige Mengen der kalten Pracht auf den Kanaren gesichtet worden.

In der Tat war dies sogar für viele erwachsene canarios die erste Gelegenheit in ihrem Leben, eine Schneeballschlacht zu veranstalten. Scharenweise packten sie Kind und Kegel in Schals und Mützen, steckten Omi und Hund in gestrickte Wintermäntel, füllten chocolate caliente in Thermoskannen und fuhren mit der ganzen Familie hinauf in die Berge. ¡Ha sido todo un caos! schimpfte die überforderte Guardia Civil angesichts der kilometerlangen Autoschlangen, die sich tollkühn die Straßen hinaufwanden. Von San Mateo bis Cruz de Tejeda brauchte man an diesem Tag mit dem Auto über eineinhalb Stunden - eine Strecke, die man unter normalen Bedingungen in 20 Minuten bewältigt. Winterreifen hat hier natürlich niemand - wie zu erwarten, endeten zahlreiche Ausflüge denn auch im Straßengraben oder mit einem Blechschaden. Ernsthaft verletzt wurde allerdings zum Glück niemand, so dass der unerwartete Wintereinbruch den meisten Canarios sicher als besonderes Vergnügen in Erinnerung bleiben wird.

Um fünf Uhr nachmittags an diesem Tag ging ich noch mal nach draußen, um etwas aus dem Auto zu holen. Der Wind biss mir eisig in die Haut und der Regen fiel mir kalt ins Genick. Ich zog die Schultern hoch und befürchtete, meine Nase würde gleich abfallen. Wieder zurück im Haus, schaute ich aufs Thermometer: Inakzeptable 12,5 Grad! Kein Wunder, dass ich beinahe erfroren wäre! Gut, dass der Spuk bis zum folgenden Wochenende vorbei sein sollte. Sonst hätte ich mir doch noch einen Schal, eine Mütze und Stiefel bis zum Knie besorgen müssen.